Erforschung, Vermittlung, Pflege, Erhalt: In diese Aufgabenstellungen rund um das UNESCO-Welterbe Corvey fließt Sachverstand aus unterschiedlichen Disziplinen ein. Ein neu gegründetes Netzwerk bündelt jetzt diese Expertise und bringt die beteiligten Akteure in den Austausch.
Die ehemalige Benediktinerabtei am Weserbogen birgt trotz profunder wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Bau- und Kulturgeschichte noch viele Geheimnisse. Sie wirft Fragen auf, liefert Forschungsansätze und Projektideen. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht der „Stoff“ in Corvey also nie aus. Zugleich wollen die besonderen Eigenschaften und Alleinstellungsmerkmale dieses Klosterortes vermittelt und für die Nachwelt erhalten werden. Auch in diesen Aufgabenbereichen bleibt viel zu tun. Es werden daher – wie seit Jahren schon – verschiedene Institutionen mit Corvey beschäftigt sein.
Das neue Netzwerk macht sie alle zu Partnern – zusammengeführt von Prof. Dr. Mechthild Black-Veldtrup, Leiterin der Abteilung Westfalen des Landesarchivs NRW, Annika Pröbe M.A., Standortleitung für das Weltkulturerbe ‚Karolingisches Westwerk und Abteikirche Corvey‘ beim Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn, Dr. Holger Kempkens, Direktor des Diözesanmuseums und Leiter der Fachstelle Kunst im Erzbischöflichen Generalvikariat, und Höxters Stadtarchivar Michael Koch. Sie haben die Initiative ergriffen und die Netze ausgeworfen.
„Das Netzwerk beschäftigt sich mit dem kulturellen Erbe der früheren Reichsabtei, des Stifts beziehungsweise geistlichen Fürstentums Corvey sowie der heutigen Schlossanlage mit der ehemaligen Abteikirche und dem karolingischen Westwerk“, erläuterten die Initiatoren des Netzwerks. Der Verbund soll als Arbeits- und Vernetzungsplattform dienen und einen transparenten Austausch der Akteure und Institutionen fördern. Dabei werde auch die Abstimmung von Projekten und Aktivitäten angestrebt. „Experten-Wissen, sowie Forschungen und aktuelle Fragestellungen sollen im Netzwerk gebündelt und diskutiert werden. Der Austausch untereinander soll Raum für neue Ideen geben und allen Corvey-Interessierten einen Einblick in aktuelle Forschungen und Fragestellungen bieten.“
Als ersten Schritt etablierten die Ideengeber auf der Homepage der Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey eine gemeinsame Online-Plattform (https://welterbewestwerkcorvey.de/netzwerk-corvey/). Sie steht gegenwärtigen und zukünftigen Netzwerkpartnern zur Vorstellung ihrer Institution und zum Austausch über Projekte und Forschungsfragen offen.
Nach dieser digitalen Initialzündung ist das neu gegründete Netzwerk auch analog an den Start gegangen: 40 Teilnehmende aus Forschung, Lehre, Archiv, Museumsarbeit und Denkmalpflege versammelten sich zu einem ersten Treffen in Höxter und Corvey. Der interdisziplinäre Kreis repräsentierte Archive, Hochschulen, Bibliotheken, Museen und andere Institutionen.
Schon der Ort der ersten Begegnung war ein Statement. Denn das Auftakt-Treffen des deutschlandweiten Netzwerks begann im Ratssaal des Historischen Rathauses in Höxter – der Stadt, die das einzige Welterbe Westfalens beheimatet und historisch wie aktuell eng mit Corvey verflochten ist.
Diese Verbundenheit liegt Bürgermeister Daniel Hartmann am Herzen, wie er bei der Begrüßung der „geballten Fachlichkeit in unserer Stadt“ betonte. Daher freue er sich, dass das Historische Rathaus Ausgangspunkt einer „gemeinsamen Plattform ohne institutionelle Grenzen“ sei.
Für den vom Bürgermeister gewürdigten offenen Austausch zwischen Höxter und der ehemaligen Reichsabtei kommen häufig lehrreiche Impulse aus dem Stadtarchiv: Dessen langjähriger Leiter Michael Koch schlägt bei seiner Forschungsarbeit immer wieder Brücken nach Corvey – oft in enger Kooperation mit der Stadtarchäologie.
Beide Partner, Stadtarchivar Michael Koch und Stadtarchäologe Ralf Mahytka, waren beim ersten Netzwerktreffen ebenso vertreten wie Höxters neue Baudezernentin Julia Gogrewe. Die Leiterin des Landesarchivs NRW, Abteilung Westfalen, in Münster, Professor Dr. Mechthild Black-Veldtrup, begrüßte sie und die zum Teil weit gereisten Teilnehmenden im Ratssaal. Die Gesprächsrunde war sofort von der angenehmen Atmosphäre eines kollegialen Austausches geprägt. Besonders unterstützt wurde diese noch durch das gemeinsame Mittagsessen, das Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek und Verwaltungsleiter Marcus Beverungen in der Dechanei bereitstellten.
Die angenehme Atmosphäre zog sich durch bis nach Corvey, wo einzelne Teilnehmende beim Rundgang aus ihren profunden Kenntnissen heraus die Abtei und das 822 begonnene Jahrtausend der Mönche sowie die vom Kloster aus gegründete, 1265 wüst gefallene Stadt Corvey im Weserbogen mit (erzähltem) Leben erfüllten. So auch Mittelalterarchäologe Professor Dr. Hans-Georg Stephan. Seine Grabungskampagnen erhellten die Erkenntnislage zur mittelalterlichen Klosteranlage und zur versunkenen Stadt erheblich. Beim Rundgang ließ er einige seiner aufsehenerregenden Forschungsergebnisse anklingen.
Seit den 1960er-Jahren habe Stephan die Siedlungsforschung vor Ort mächtig vorangetrieben, sagte Stadtarchivar Michael Koch zuvor bei der Begrüßung der Netzwerkpartner im Rathaus. Der Historiker verwies auch auf die Beziehungen Höxters zu Corvey. Er stelle sich die Stadt und die ehemalige Benediktinerabtei als altes Paar vor, „das über die Jahrhunderte hinweg untrennbar aufeinander angewiesen war und ist und das auch gemeinsam in die Zukunft geht“. Den Blick nach vorn betone er besonders, so Michael Koch, „weil wir ein neues museales Konzept zur Stadtgeschichte benötigen, das von Höxter, Corvey und den engen Verflechtungen beider ausgeht.“
Diese Verflechtungen will das Netzwerk aufnehmen und ausweiten. Dr. Holger Kempkens signalisierte das große Interesse des Erzbistums und der Kirchengemeinde an dieser Plattform. Um den Erhalt des kulturellen Erbes in Corvey sei die kirchliche Seite sehr bemüht. Das spiegele sich auch im finanziellen Engagement des Erzbistums für restauratorische Maßnahmen, für die multimediale didaktische Erschließung des Westwerks und auch für die vor zwei Jahren eröffnete neu konzipierte Dauerausstellung der Schätze der Kirchengemeinde in den Räumen des Schlosses wider. Diese rückt den barocken Kirchenschatz Corveys in ein neues Licht. Personell engagiere sich das Bistum mit der Stelle der Standortleitung, die die Historikerin Annika Pröbe ausführe.
Für das neu ins Leben gerufene Netzwerk signalisierte Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek beim Auftakttreffen die Unterstützung der Kirchengemeinde. „Es ist uns ein Anliegen, dass auch in den nächsten Jahren wissenschaftlichen Fragestellungen nachgegangen wird, viele unterschiedliche Disziplinen zusammenkommen, miteinander diskutieren und die Forschung weiter vorantreiben.“
Auf die Mission der Gründermönche von 822 zurückschauend, betonte der Geistliche, dass sie das Evangelium und das zentrale Gebot der Nächstenliebe verkündeten. Die Solidarität von heute gehe auch auf dieses biblische Gebot zurück. Daher sei von Corvey ein für das Gemeinwesen prägendes Signal ausgegangen. Die Glaubensbotschaft des Evangeliums ins Heute zu bringen – diesem Anliegen der Kirchengemeinde diene auch das neue, moderne Osterbild im Hochaltar der ehemaligen Abteikirche.
Dorothee Feldmann, Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses, führte die Gäste im Schloss durch die historischen Prunk- und Wohnräume aus dem 18. und 19. Jahrhundert, den prachtvollen Kaisersaal und die Fürstliche Bibliothek. Damit wurde zugleich deutlich, dass das ‚Netzwerk Corvey‘ auch die jüngere nachklösterliche Geschichte Corveys im Blick hat.
Insgesamt konnten die Initiatorinnen und Initiatoren auf einen gelungenen Tag zurückblicken, bei dem sich bereits viel fachlicher Austausch und zahlreiche neue Kontakte und Vernetzungen der Teilnehmenden ergeben haben.