Durchbruch im Welterbe: Wandöffnung bringt Bauprojekt nach vorne | OWZ zum Sonntag

Veröffentlicht am 09.10.2025 12:59

Durchbruch im Welterbe: Wandöffnung bringt Bauprojekt nach vorne

Vom Johanneschor aus nehmen Architekt Jürgen Schimmelpfeng (von links), Bernd Mey (Bauleitung, Architekturbüro Müntinga, Puy und Schimmelpfeng), Matthias Rüenauver (Restaurator, Geschäftsführer „ars colendi“) und Dorothee Feldmann (Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses) den entstehenden Durchbruch in Augenschein. (Foto: Kirchengemeinde Corvey)
Vom Johanneschor aus nehmen Architekt Jürgen Schimmelpfeng (von links), Bernd Mey (Bauleitung, Architekturbüro Müntinga, Puy und Schimmelpfeng), Matthias Rüenauver (Restaurator, Geschäftsführer „ars colendi“) und Dorothee Feldmann (Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses) den entstehenden Durchbruch in Augenschein. (Foto: Kirchengemeinde Corvey)
Vom Johanneschor aus nehmen Architekt Jürgen Schimmelpfeng (von links), Bernd Mey (Bauleitung, Architekturbüro Müntinga, Puy und Schimmelpfeng), Matthias Rüenauver (Restaurator, Geschäftsführer „ars colendi“) und Dorothee Feldmann (Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses) den entstehenden Durchbruch in Augenschein. (Foto: Kirchengemeinde Corvey)
Vom Johanneschor aus nehmen Architekt Jürgen Schimmelpfeng (von links), Bernd Mey (Bauleitung, Architekturbüro Müntinga, Puy und Schimmelpfeng), Matthias Rüenauver (Restaurator, Geschäftsführer „ars colendi“) und Dorothee Feldmann (Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses) den entstehenden Durchbruch in Augenschein. (Foto: Kirchengemeinde Corvey)
Vom Johanneschor aus nehmen Architekt Jürgen Schimmelpfeng (von links), Bernd Mey (Bauleitung, Architekturbüro Müntinga, Puy und Schimmelpfeng), Matthias Rüenauver (Restaurator, Geschäftsführer „ars colendi“) und Dorothee Feldmann (Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses) den entstehenden Durchbruch in Augenschein. (Foto: Kirchengemeinde Corvey)

Ein Durchbruch im wahrsten Wortsinn ist in der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey erzielt worden: Für die barrierefreie Erschließung des Johanneschors – der Herzkammer des Welterbes im Obergeschoss des karolingischen Westwerks – haben Restauratoren die Wand zum angrenzenden Domänengebäude geöffnet.

Mit diesem entscheidenden Schritt wird – ebenfalls buchstäblich – ein neuer Weg in die Emporenkirche frei. Denn der erhabene, zweigeschossige Sakralraum ist zukünftig nicht mehr durch den südlichen Treppenturm zu erreichen, sondern nur noch über das Domänengebäude direkt neben dem Westwerk. Für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, wird ein Aufzug eingebaut. Man muss also nicht mehr Treppen steigen können, um den Johanneschor zu besichtigen und seine ursprüngliche, karolingische Ausgestaltung bei Führungen am authentischen Ort auf dem Bildschirm eines Tablets zu erleben.

Diese barrierefreie Erreichbarkeit ist Hauptanliegen der neuen Zuwegung. Die Corvey gGmbH führt bei dem wegweisenden Bauvorhaben Regie. Denn die barocken Domänengebäude befinden sich im Besitz der herzoglichen Familie. Dorothee Feldmann, Direktorin Immobilien- und Kulturverwaltung des herzoglichen Hauses, betreut das Projekt.

Archäologischer Befund gesichert

Dieses nimmt inzwischen Gestalt an. Im Wirtschaftsgebäude ist schon der neue Treppenaufgang in Arbeit. Direkt daneben sind für den Fahrstuhl alle Vorbereitungen getroffen worden. Dazu gehört im Parterre auch die Sicherung eines archäologischen Befundes: Dort, wo die Gäste demnächst in den Aufzug steigen, war in der Barockzeit die Feuerstätte (Esse) für das Back- und Brauhaus. Unter dem künftigen Fahrstuhl sind Archäologen auf Hinterlassenschaften gestoßen. „Wir haben den Einbau des Aufzugs so konzipiert, dass diese Grabungsstelle und ihre Befunde nicht zerstört werden und für nachfolgende Forschergenerationen gesichert sind“, erläutert Architekt Jürgen Schimmelpfeng aus Bad Arolsen.

Im Obergeschoss – also vor dem Durchbruch in den Johanneschor – hat er im Zuge der Sanierung massive, aber reversible Holzwände einziehen lassen und eine Raumstruktur geschaffen. Auch führt er spannende Durchblicke im Schilde: In die Trennwand zum restlichen Teil des Dachgeschosses wird eine Glasscheibe eingebaut. Die Gäste können also in den riesigen, nach wie vor wirtschaftlich genutzten Teil des langgestreckten Domänengebäudes hineinschauen. Sie sehen den Estrich, der vor einigen Jahrzehnten eingezogen wurde, damit das gelagerte Getreide nicht auf dem Lehmboden lag, und blicken hinauf in den imposanten Dachstuhl. Die Geschichte des landwirtschaftlichen Betriebs bleibt also ablesbar.

Glasgang schmiegt sich harmonisch an

Dieses Anliegen spielt beim Sanierungskonzept des Architekten eine wichtige Rolle: Jürgen Schimmelpfeng richtet das Innere des Gebäudeteils für die Zuwegung in den Johanneschor behutsam und mit möglichst wenigen modernen Materialien her. Das Holz der Wände und die, wo nötig, erneuerten hölzernen Deckenbalken fügen sich stimmig in das rustikale Ambiente ein.

Einen harmonischen Eindruck macht auch die deutlichste Veränderung dieses wegweisenden Millionenprojekts: An der östlichen Fassade des Domänengebäudes, zum Friedhof hin, ist ein Anbau mit Glasfront und Kupferdach entstanden. Diese so genannte Klimapassage fängt die klimatischen Unterschiede zwischen drinnen und draußen ab. Wer aus der Kirche durch die Tür zum Friedhof geht, ist gleich mittendrin im überdachten Verbindungsgang und gelangt von dort aus dann zur Treppe und zum Fahrstuhl.

Machbarkeitsstudie erarbeitet

Die Fassade des Ökonomiegebäudes zeigt sich hinter dem Glasgang nicht mehr steinsichtig, sondern geschlämmt. Die Schicht macht, anders als ein Putz, die Steinstruktur sichtbar und verdeckt mithin die jahrhundertelange wirtschaftliche Nutzung des Gebäudes nicht. Auch hier bleibt Geschichte ablesbar.

Der Anbau schmiegt sich an und tritt in seiner Zurückhaltung nicht in Konkurrenz zum Umfeld. Er gehörte von Beginn der Planungen an zum Konzept der neuen Zuwegung in den Johanneschor.

Grundlage dieser Planungen war zunächst eine Machbarkeitsstudie, die Architekt Schimmelpfeng federführend betreut hat. Sensibelster Teil dieser Untersuchungen und jetzt der Umsetzung ist der Durchbruch in den Johanneschor. Denn er darf keine karolingische Substanz zerstören. Eine ehemalige Öffnung erwies sich als zu schmal für Rollstühle. Zum Glück fand sich eine andere, ehemalige Baustellenöffnung aus nachmittelalterlicher Zeit. Sie muss 1949 noch einmal geöffnet gewesen sein – womöglich, um das Getreidelager der Domäne auf den Johanneschor auszudehnen. Diese Möglichkeit zieht der Architekt in Betracht.

Wanddurchbruch ist ersehnter Moment

Den Durchbruch jetzt ordnen Jürgen Schimmelpfeng und Dorothee Feldmann als großen Moment ein, „auf den wir seit sechs Jahren hin fiebern“. Karen Keller, restauratorische Fachbauleitung für das Westwerk und die Abteikirche, hat zuvor in einer Sondage noch einmal überprüft, dass die Putze tatsächlich neuzeitlich sind.

Restaurator Matthias Rüenauver (Geschäftsführer des Unternehmens „ars colendi“ aus Paderborn) trägt nun mit Unterstützung seines Mitarbeiters Olav Renger von oben nach unten Stein für Stein ab. Von Putzen in seitlichen Gewänden hat er Proben genommen und einen Sturz unterhalb des Fensters über dem Durchbruch abgestützt. In der Trennschicht zwischen der Wand des Johanneschores und der des Domänengebäudes haben Rüenauver und sein Mitarbeiter ältere Steine gefunden, die als Füllmaterial wiederverwendet wurden. Bei den vorbereitenden Arbeiten trat die Spolie einer Wasserablaufrinne zutage.

Baustelle im Johanneschor „eingehaust“

Aus dem Johanneschor heraus können die Gäste den Durchbruch zur Domäne nicht miterleben. Eine hölzerne Einhausung umschließt die Baustelle und schützt den Sakralraum mit seinen mehr als 1100 Jahre alten Wandmalereien vor Staub. Restaurator Matthias Rüenauver berichtet, dass er im Johanneschor vor der Öffnung der Wand zunächst Putz abgeschlagen und Baunähte in der Breite der Fensterlaibung über dem Durchbruch erkannt hat.

Vollständig geöffnet ist die Verbindung ins Domänengebäude noch nicht. Gut Ding will Weile haben. Möglichst in der Saison 2026 soll die neue Zuwegung dann aber passierbar sein. Daran ist Dorothee Feldmann sehr gelegen: „Wir sehen immer wieder Gäste, die im Erdgeschoss verharren, weil sie in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und sich den Aufstieg in den Johanneschor nicht zutrauen.“ Bald führt der Weg sie ohne Hindernisse ins liturgische Zentrum des Westwerks. Durch die Tür zum Friedhof gelangen Gäste in den Glasgang und das angrenzende Domänengebäude. Von dort aus geht es – über den neuen Treppenaufgang oder barrierefrei mit dem Fahrstuhl – in den Johanneschor.

Wege bereiten für alle Menschen

Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek begrüßt diese deutliche Verbesserung ebenso wie Dorothee Feldmann: „Der Johanneschor ist nach Johannes dem Täufer benannt. Das Neue Testament stellt ihn als Wegbereiter für Jesus dar. Wir greifen den Aufruf des Johannes auf, indem wir die Wege bereiten für alle Menschen, die den Johanneschor mit seinen einzigartigen karolingischen Fresken besuchen und innehalten möchten.“

Der barrierefreie Zugang zum Johanneschor sei auch im Zusammenhang mit den digitalen Angeboten der Kirchengemeinde und der neu konzipierten Dauerausstellung „ein entscheidender Fortschritt“, betont der geschäftsführende Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Josef Kowalski. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen könnten die Herzkammer des Welterbes bald erreichen. „Es ist ein glücklicher Umstand, dass dies durch eine Maueröffnung hindurch geschehen kann, ohne die karolingische Bausubstanz zu berühren.“ Die barrierefreie Erreichbarkeit werde Corveys Strahlkraft als Fixstern der Region und des Erzbistums nochmal steigern, ist Josef Kowalski überzeugt. „Dieses Ziel konnte nur erreicht werden, weil durch Bund, Land und unser Erzbistum Fördermittel gewährt wurden. Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus zu Corvey ist für diese Unterstützung sehr dankbar.“

Treppentürme werden geschont

Annika Pröbe, Standortleitung für das karolingische Westwerk und die barocke Abteikirche, ordnet die barrierefreie Erschließung ebenfalls als großartigen Schritt nach vorne ein. Der neue Zugang trage auch zum Erhalt der mehr als 1000 Jahre alten Bausubstanz des Westwerks bei. Denn in den Treppentürmen, von denen der südliche jetzt als Zuwegung genutzt wird, seien die Aufgänge und auch die Putze an den Wänden karolingisch. Sie würden jetzt geschont. „Außerdem bekommen wir das Klima im Westwerk besser unter Kontrolle, was auch der Sicherung der karolingischen Wandmalereien dient.“

Aus touristischer Sicht misst auch die öffentliche Hand der barrierefreien Erschließung eine große Bedeutung bei. Deshalb sind in diese zukunftsweisende Baumaßnahme zur Erreichbarkeit des Sakralraums aus der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ mehrere Millionen Euro Fördermittel geflossen.

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